Mit Mut unseren Rechtsstaat gegen Populismus verteidigen
Für das Rechtspolitische Magazin der ASJ rund um das Thema Rechtsstaat habe ich einen Beitrag verfasst. Die Mütter und Väter unseres Grundgesetzes haben uns einige grundlegende Prinzipien mit auf den Weg gegeben. Diese jeden Tag aufs Neue zu verteidigen und zu bewahren ist unser aller Aufgabe. Besonders in Zeiten, in denen durch unsachliche und populistische Debatten diese Prinzipien verwaschen werden.
Eine Säule unserer Gemeinschaft ist der Rechtsstaat. Sprüche wie „auf hoher See und vor Gericht …“ oder „Recht haben und Recht bekommen“ kennt jeder und diese lassen sich nicht aus den Köpfen verbannen. Aber auch bei Entscheidungen von Gerichten müssen wir – besonders jene, die in unserem Land politische Verantwortung übertragen bekommen haben – den Rücken breit machen.
Die schrecklichen Erfahrungen der NS-Diktatur und besonders die unrühmliche Rolle der Justiz in diesem System haben nach Gründung der Bundesrepublik glücklicherweise eine lebhafte Debatte in der Rechtswissenschaft ausgelöst. Dabei waren es besonders sozialdemokratische Juristinnen und Juristen, die durch fundierte Beiträge dieser Debatte eine gute Richtung gegeben haben. Zwei Namen, die wir hier nicht vergessen sind Gustav Radbruch und Fritz Bauer.
Beide haben dabei ihre ganz persönlichen, leidvollen Erfahrungen der NS-Zeit und ihre hohen fachlichen Fähigkeiten einfließen lassen. Sie wurden – trotz vieler Widerstände – nicht müde, für die Herrschaft des Rechts und den starken Rechtsstaat zu kämpfen, der sich nicht nur durch formale Gesetze, sondern durch materielle Gerechtigkeit auszeichnet.
Im Ergebnis ging Radbruch mit seiner rechtsphilosophischen Herleitung so weit, Richterinnen und Richtern etwas beinahe Unvorstellbares zu erlauben: Gesetze nicht anzuwenden, wenn sie nach der Radbruch’schen Formel gegen übergeordnete Prinzipien wie die Gleichheit aller Menschen verstoßen und „unerträglich ungerecht“ sind.
Besonders bei uns Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten ist das Thema Gerechtigkeit nicht nur ein Thema, sondern ein Teil unseres Grundwertekanons. Diese Werte stehen aber nicht alleine oder isoliert, sondern stehen gemeinsam in einem sich gegenseitig stützenden und gegenseitig begrenzenden Bezug, eben Freiheit, Gerechtigkeit und Solidarität.
Warum ist eine solche Debatte heute wichtiger denn je? Weil heute in hitzigen Diskussionen immer wieder Entscheidungen mit vermeintlich einfachen Fragen in Zweifel gezogen werden. Gerne wird einem ein „Ist es denn gerecht, wenn…?“ entgegengeschleudert – in sozialen Netzwerken leider häufig mit einer wesentlich stumpferen Wortwahl. Dann dürfen wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten und alle, denen unser Rechtsstaat am Herzen liegt, nicht einfach schweigen.
Im Kleinen kann dies gelingen. Wenn ich früher als Rechtsanwalt mit meinem Mandanten den Gerichtssaal verließ und das Urteil nicht so ausfiel, wie mein Mandant erhofft hatte, dann begann für mich manchmal der wichtige Teil meiner Arbeit: zu erklären, was gerade passiert war und warum das Urteil des Gerichts uns beiden vielleicht nicht passt, aber dennoch zeigt, wie gut unser Rechtssystem funktioniert. Diese vornehmste Aufgabe als „Organ der Rechtspflege“ ist nicht zu unterschätzen. Heute besteht die Pflicht, immer und überall sich an diese Aufgabe des Erklärens zu erinnern.
Besonders im Bereich der Rechts- und Innenpolitik müssen wir dazu immer wieder neue Ideen einbringen, die uns das Erklären und das Werben für unsere Grundprinzipien erleichtern.
Recht muss auch durchgesetzt werden und darf nicht beim Urteil enden. Das verlangt besonders in den Ländern Kärrnerarbeit. Denn dort wird das Recht auf die Straße gebracht. Kürzere Laufzeiten bei Gericht, effektivere Vollstreckung durch Gerichtsvollzieher, rasche Vollstreckung von Strafen und Zugang zum Recht für jedermann sind nicht nur kostspielig, sondern auch mühsame Ziele, die nur vor Ort erreicht werden können.
Genauso ist es auch beim Thema der öffentlichen Sicherheit. Wir haben uns versprochen, dass wir auf einander achtgeben, dass niemand Angst haben muss, Opfer einer Straftat zu werden. Öffentliche Sicherheit ist also keinesfalls nur ein Thema der Konservativen, sondern gerade ein Thema für uns, die wir uns seit jeher den Schutz der Schwachen auf unsere Fahne geschrieben haben. Auch hier gilt das vorher Gesagte: Das Recht kann nur durch mehr Präsenz, mehr Prävention und Repression und natürlich durch unser aller Courage im Alltag überall ankommen.
Die aktuellen Beispiele ließen sich schier endlos weiter aufreihen. Ein angespannter Wohnungsmarkt, wie etwa in den Großstädten unseres Landes braucht klare Regeln. Dazu muss eine Mietpreisbremse aber auch in der Praxis wirken. Wenn ich als möglicher Mieter in München, Hamburg oder Düsseldorf mit einigen hundert Bewerberinnen und Bewerbern das Rennen um die neue Wohnung gewonnen habe, ist es unrealistisch, davon auszugehen, dass ich sofort meine Auskunftsrechte beim Vermieter geltend mache, um zu erfahren, wie hoch denn der frühere Mietzins war.
Wenn die deutsche Automobilindustrie Kundinnen und Kunden mit bewusst eingesetzter Softwaremanipulation hinters Licht führt, gutgläubigen Dieselkäufern nun Fahrverbote drohen und die Hersteller Softwareupdates statt Hardwarenachrüstungen anbieten, ist das Recht gefragt. Unsere Sozialdemokratische Antwort ist daher klar: die „Klage für alle“, also die Musterfeststellungsklage.
Aber auch aus dem Strafrecht gäbe es Reformen, die dringend angepackt werden müssen. Ein Fall aus Nordrhein-Westfalen bewegte vor Jahren die Justiz und die Öffentlichkeit. Eine ältere Dame wurde wiederholt beim „Schwarzfahren“ erwischt und musste sodann eine Ersatzfreiheitsstrafe absitzen. Inzwischen gibt es eine Debatte, ob dem „Schwarzfahren“ tatsächlich mit der Härte des Rechtsstaates begegnet werden muss oder ob hier nicht eine Einstufung als Ordnungswidrigkeit ausreicht. Einen weiteren Fall, in dem ein Reformbedarf besonders deutlich wird, spiegeln die Debatten rund um die Einführung eines Unternehmensstrafrechts.
Spätestens nach den Korruptionsskandalen in großen Konzernen wie etwa SIEMENS hat sich gezeigt, dass es notwendig ist, dass wir auch in Deutschland internationalen Standards entsprechend Korruption bekämpfen. Denn erst, wenn empfindliche Strafen drohen – und hier im Gegensatz zum Schwarzfahren nur Bußgelder –, lohnt sich auch aus wirtschaftlichen und nicht nur aus ethischen Gründen die Implementierung von Compliance-Regeln.
Dabei lohnt sich ein Blick in die Vereinigten Staaten, die derzeit mit hohen Standards und erheblichen Befugnissen arbeiten. Bemerkenswert etwa ist die Rolle des sogenannten „Monitors“, der vom Justizministerium der USA als Überwacher in Unternehmen entsandt wird und dort vor keiner Tür halt machen muss. Diese scharfen Instrumente, gepaart mit dem US-amerikanischen Sendungsbewusstsein als Weltpolizei, bringen derzeit den deutschen Baukonzern Bilfinger Berger ganz schön ins Schwitzen. Hier in Deutschland droht dagegen allenfalls ein „Knöllchen“ im Rahmen eines Bußgeldverfahrens.
Mein Resümee: Kopf hoch und nicht müde werden! Unsere Demokratie lebt davon, dass die Minderheit grundsätzlich akzeptiert, was die Mehrheit in einer Demokratie entscheiden darf. Nur, wenn viele das Gefühl behalten: „Bei uns geht es gerecht zu und dieses Recht kommt auch bei allen an.“, werden auch Populisten es nicht schaffen, unser Rechtsstaatsprinzip zu schleifen.