Bürgerpredigt in der ev. Stadtkirche in Remscheid

Remscheider Stadtkirche

Remscheider Stadtkirche

Liebe Gemeinde,
wir hörten in der Lesung die Worte aus dem dritten Kapitel des ersten Buches der Könige. Wir hörten von einer Gerichtsverhandlung, bei der uns kalter Schauder den Rücken herunter läuft. – Entsetzlich, was der König seinen Soldaten befiehlt – er geht mit dieser Weisung an die Grenzen des Erträglichen für eine Mutter und für jeden von uns.

Und doch, dieser Bericht des Salomo-Urteils dient gerade dazu, die Weisheit des Königs zu veranschaulichen.

Das Ereignis, das sich vor dem König abspielt, lässt niemanden kalt und um so größer ist die Freude darüber, wie weise Salomo handelte, als er in dieser Sache bis zum Äußersten ging.

Zugleich aber wird uns am Beispiel Salomos verdeutlicht, wie groß die Gaben sind, die Gott den Seinen schenkt. Denn sie sind die entscheidende Voraussetzung für alles Gelingen.

Doch wer von uns schon einmal in Verhandlungen vor Gericht verwickelt war, der kann sich nur wundern, was wir über das Verfahren aus dem Alten Testament hören. Zwar gehören Streitigkeiten vor Gericht, Anklagen und Gerichtsurteile für viele Leute schon fast zur Normalität, aber so etwas, dass ein König handeln kann wie er will, weil er alle Macht in seiner Hand hat, ist für uns heute fremd.

In der Rechtslehre der Gegenwart wird das, was den Kern der Geschichte ausmacht als Tatbestand oder Sachbericht bezeichnet, den ich als Rechtsanwalt mit folgenden Worten umreiße: “Die beiden Parteien streiten über die Mutterschaft des lebenden Kindes. Beide behaupten, sie seien die Mutter des Kindes.”

Es stellen sich Fragen: Wem glaubt der Familienrichter? Wer sagt die Wahrheit? Wer lügt?

Fragen, die sich täglich viele hundert hauptamtliche Richterinnen und Richtern genauso wie ehrenamtliche Schöffinnen und Schöffen aus der Mitte unserer Gesellschaft stellen.

Juristen erhalten in ihrer Ausbildung, Werkzeuge an die Hand, die ihnen helfen sollen, Wahrheit und Unwahrheit zu unterscheiden. Sie erhalten Ratschläge: Was sagt der Zeuge? – Wiederholt er immer wieder eine im Vorhinein zurechtgelegte Formulierung oder kann er frei erzählen und auf Fragen antworten. In meiner Ausbildung habe ich gelernt, Aussagen auf ihre Wahrheitsmerkmale und Phantasiesignale zu bewerten. Viele Male habe ich mit meiner ausbildenden Richterin – hier am Amtsgericht Remscheid – Zeugen vernommen und anschließend die Bewertung mit ihr erörtert. War die Aussage ergiebig? War der Zeuge glaubwürdig? War die Aussage glaubhaft?

Doch die auf der Wahrheit gründende Gewißheit – im Sinne der endgültigen göttlichen Gerechtigkeit – bleibt uns versagt.

Liebe Gemeinde,

Durch den Bericht des Salomo-Urteils, wird uns eine Welt vor Augen gemalt, in der es so ganz und gar anders zugeht, als bei uns heute. Beweisverfahren, technische und medizinische Untersuchungen waren nicht in der Weise möglich, wie wir es kennen.

Es hing letztlich Alles vom Geschick, der Einsicht und Weisheit des Richters ab, ob das Urteil so oder so ausfallen würde. Zur Zeit Salomos gab es aber richterliche Instanzen noch nicht – alle Rechtsangelegenheiten lagen in der Hand des Königs. Gesetze wurden durch ihn erlassen, die Einhaltung von Recht und Ordnung überwachte letztlich er und auch das Recht, Vergehen zu bestrafen oblag ihm.

Salomo griff die Verwaltungsformen seines Vaters David auf und entwickelte sie weiter.

Durch sein Geschick lebte sein Reich lange Zeit in Frieden. König Salomo baute dem Herrn einen Tempel, die Mauer um die Stadt Jerusalem, lebte – meist zumindest -in Demut und Gottesfurcht und brachte Gott, dem Herrn, üppige Brandopfer dar. Dass das prächtige Großreich am Ende doch zerbrach, wird – diplomatisch umschrieben – seiner unvorsichtigen Heiratspolitik zugeschrieben.

Zu Beginn aber seiner Regierungszeit wusste Salomo, dass alles, was er besaß und was ihm geschenkt war, aus Gottes Hand kam. Doch wenn es etwas gab, das die Erinnerung an diesen König in der Geschichte des Gottesvolkes lebendig hielt, war es nicht sein Reichtum und seine Macht, sondern seine Weisheit.

Salomo steht für das alttestamentliche Gottesvolk als das Beispiel für den weisen König überhaupt, wie es bis dahin keinen gegeben hatte und wie auch keiner nach ihm mehr kommen sollte.

Er hatte das Angebot Gottes gerne angenommen, sich etwas von Gott dem Herrn zu wünschen. Er bat um ein hörendes Herz, damit es ihm gelingt, das Volk zu richten und damit er versteht, was gut und was böse ist.

Gott gewährte ihm seine Bitte, doch gab er noch etwas dazu: Er schenkte ihm ein Herz, das weise und verständig zugleich ist und darüber hinaus Reichtum und Ehre, wie sie sonst keinem König zuteil wurden. Reichtum und Ehre waren zwar außergewöhnlich groß, doch das Geschenk der Weisheit war es, was die nachfolgenden Generationen als Besonderheit Salomos rühmen.

Darum wird uns als ein Beispiel der Weisheit Salomos auch das Urteil gegenüber den beiden Huren überliefert, an dem wir sehen können, dass er tatsächlich weise war. An seinem Urteilsspruch erkennen wir, dass Gott Salomo in besonderer Weise segnete.

Gott ist es, der Salomo zunächst zum Hören befähigt.

Gott ist es, der ihn erkennen lässt, was gut und böse ist.

Gott ist es, der ihm seine Weisheit schenkt.

Salomo wird auf seine Bitte hin beschenkt, mit den Gaben, die er für die Aufgaben als König von Israel benötigt. Gott lässt so sein Regieren gelingen.

An ihm können wir beispielhaft erkennen, wie Gott diejenigen begabt und zu den anstehenden Aufgaben befähigt, die in seinem Volk und später in seiner Kirche notwendig sind.

Darin erweist sich Gott als derselbe Gott, den uns Jesus Christus verkündigt, als der Gott der Treue und der Liebe. Gott begabt auch uns und befähigt uns dazu, die Aufgaben wahrzunehmen, die in dieser Welt anstehen, wenn wir ihn darum bitten.

Wenn wir glauben, dass die Gaben von Gott allen Menschen Zuteil werden können, dann kann auch jeder einzelne von uns besondere Aufgaben übernehmen. Dann entsteht aus diesem Gedanken bereits ein aufgeklärtes Menschenbild. Ein Bild vom Menschen, der unabhängig von seiner Herkunft, geschaffen ist an jeder Stelle seine Aufgabe zu erfüllen. Dann können wir alle auch gemeinsam wichtige Entscheidungen treffen und müssen diese nicht einem einzelnen überlassen. Folglich haben wir mit unserer Demokratie den richtigen Weg gefunden, alle Menschen mit ihren unterschiedlichen Begabungen und Blickwinkeln teilhaben zu lassen zum Fortschritt der Menschheit.

Doch wollen wir am Beispiel des Urteilsspruchs Salomos vor den beiden Frauen verstehen lernen, welche Gaben Gott zuteilt:

Gott ist es, der Salomo zunächst zum Hören befähigt.

Salomo wird durch Gott eine Fähigkeit verliehen, die ihm bis dahin und auch uns oft fehlt. Es fällt uns so schwer, erst einmal zuzuhören. Viele von uns haben es verlernt, aufmerksam zuzuhören. Aber nur so können wir den Anderen recht verstehen; uns in seine Position hineinversetzen.

Wie wir im Falle des Urteils vor den beiden Huren sehen: Salomo kann hören. Er lässt erst beide Frauen zu Wort kommen – und wir merken dabei, wie wichtig es war, denn in ihren Worten offenbarten sie sich selbst.

Salomo möchte gerne richtig hören können und zwar nicht bloß mit seinen Ohren, sondern mit dem Herzen. Und Gott gewährt ihm diese Bitte.

Ein notwendiges Geschenk, das wir dankbar annehmen sollten. Wie wichtig es ist, seine Ohren und sein Herz nicht zu verschließen, bemerke ich als Landtagsabgeordneter und Rechtspolitiker in diesen Tagen bei der kontroversen Diskussion über die Sicherheitsverwahrung.

Hier stellt sich die Frage im Umgang mit Menschen, die unsägliche Straftaten begangen haben und zu lebenslangen Freiheitstrafen verurteilt wurden. Nur in besonderen Fällen und zum Schutz der Gemeinschaft können Verurteilte darüber hinaus nach Verbüßung ihrer Strafein Sicherheitsverwahrung untergebracht werden. Es kann also Fälle geben, wo die Freiheit des Einzelnen zur Sicherheit der Gemeinschaft für immer verwehrt wird.

Der Europäische Gerichtshof hat entschieden, dass die Anordnung der Sicherheitsverwahrung, in den Fällen in denen diese erst später angeordnet wurde, nicht mit den Menschenrechten vereinbar sei. Nun stellt sich die Frage, wie wir mit 70 Menschen in Nordrhein-Westfalen umgehen, deren Freilassung infolge des Urteils in den nächsten zehn Jahren bevorstehen.

Ich kann darauf noch keine Antwort geben. Wir ahnen aber, in welchem Konflikt hier der Gesetzgeber steht, auf der einen Seite das individuelle Menschenrecht und auf der anderen Seite das kollektive Bedürfnis nach Sicherheit.

Das ist einer jener Momente, wo ich mir für uns alle jene Weißheit wünsche, wie Salomo sie von Gott empfing.

Dieser Wunsch spiegelt aber auch unsere eigene Unvollkommenheit wider. Seien wir ehrlich, wie häufig hören wir nicht mit offenem Herzen zu, weil Vorurteile und vermeintliche Ängste die Ohren taub und das Herz kalt werden lassen.

Das Wissen um die Unvollkommenheit der Menschen hat daher bereits zu Beginn unserer Gesellschaft – bereits in alttestamentarischer Zeit – Systeme entwickeln lassen, die die Folgen der Unvollkommenheit begrenzen sollen. Die Entwicklung ferste Gesetze, in denen Tatbestand und Rechtsfolge vorher definiert sind, sollten Willkür ausschließen. Der Codex Hammurabi aus der Zeit um 1800 Jahre von Christus, also noch vor König Salomon, geschrieben in Babylon, ist hierfür ein gut erhaltenes und wohl das bekannteste Beispiel der Rechtsgeschichte.

Wie weit die Sonne der Gerechtigkeit Gottes in unseren Alltag strahlen mag, hängt ganz entscheidend davon ab, wie sehr wir uns selbst zurücknehmen können. Wie weit wir Rechthaberei – des um jeden Preis Rechthaben-Wollens -durch das Streben nach herzlicher hörbarer Gerechtigkeit in unserer Welt ersetzen können.

Wie sehr es in unserer Zeit dieser Sonne bedarf, sehen wir auch daran, wie mit Fremden in unserer Gesellschaft umgegangen wird. Asylbewerber und Flüchtlinge leben am Rande der Gesellschaft, müssen auf Duldung hoffen und bangen um ihren Aufenthalt. Ich denke dabei an eine Familie in unserer Stadt, die seit mehr als 18 Jahren bei uns und mit uns lebt, der jedoch Sicherheit und Geborgenheit verwehrt bleibt. Zu den Widersinnigkeit dieses Lebens zählt, dass ein Studienplatz nur mit Mühe und Not möglich wird, weil eine dauerhafte Aufenthaltserlaubnis fehlt. Und das obgleich wir so dringend gut ausgebildete junge Menschen brauchen.

Da wird in der öffentlichen Diskussion das Leben von Menschen auf die Höhe von Transferaufwendungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz reduziert. In der Sitzung des Integrationsausschusses am Dienstag wurde darüber berichtet, dass die Zahl der Remscheid zugewiesenen Flüchtlinge wieder steigt.

Ich will offen sagen, was mein erster Gedanke war. Es war die Angst vor der Kälte in unserer Gesellschaft, die taub und blind zu werden droht ob des Schicksals eines Menschen. Die Angst davor, dass wieder das unsäglich Wort aus der Mitte der 90er Jahre vom Boot, das voll sei, aufkommen könnte. Die Angst davor, dass das Asylrecht weiter ausgehöhlt wird.

Das ist die Kälte, die durch die Sonne der Gerechtigkeit überwunden werden muss.

Gott ist es, der ihn erkennen lässt, was gut und böse ist.

Liebe Gemeinde,

Salomo erkennt aus den Worten der beiden Frauen sehr schnell, welche Frau es gut und welche es böse meint, eine Einsicht, die sein aufmerksames Hören zur Voraussetzung hat.

Die Sehnsucht nach der Erkenntnis des Guten und Bösen steckt ja tief in uns und doch bleibt sie nur denen vorbehalten, denen Gott das Verstehen öffnet. So auch bei uns.Gott gießt seinen Geist aus über uns, damit wir befähigt werden, die Geister zu unterscheiden.

Auch hier beschleicht mich ein Gefühl der Unvollkommenheit. Was wenn ein Richter, ein Gesetzgeber, ein Beamter diese Gabe fehlt? Die Gabe zu unterscheiden zwischen Gut und Böse. Der Rechtsstaat versucht mit seinen Instanzenzug, seiner Gewaltenteilung Antworten zu geben. Antworten, die aber auch nicht gegen jede Perversion des Rechts, wie sie im Dritten Reich geschehen ist, helfen kann. Auch hier hatten wir ein Rechtssystem, einen vermeintlichen Rechtsstaat, der kläglich versagte. Die Antwort bleibt ebenfalls unvollkommen.

Liebe Gemeinde,

als dritte Gabe Gottes hören wir von der Weisheit, die Salomo gegeben ist.

Um Weisheit hatte Salomo zunächst gar nicht gebeten und doch ist gerade seine Weisheit die entscheidende Voraussetzung für alles, was er in unserem konkreten Gerichtsfallsagt und tut.

Sehen wir auf das, was Salomo anordnet, nachdem er die beiden Huren redenließ, dann scheint es uns so widersinnig, ja töricht und geradezu abstoßend, wenn er befiehlt, das Kind zerteilen zu lassen, damit jede Frau ein Stück von dem Jungen erhält, der noch am Leben ist.

Er kündigt an, dass er den Jungen töten will, damit jeder dieser Frauen ihren gerechten Anteil bekommt, da es keine Zeugen gibt, die für die Wahrheit einstehen können. Doch hinter dem angekündigten Vorhaben verborgen liegt ganz und gar die Absicht zur Rettung des Kindes und die Rückgabe an die wahre Mutter, die es von Herzen liebt.

Salomo handelt weise, auch gegen die Vernunft, die seiner Anweisung, das Kind zu zerteilen mit Unverständnis gegenübersteht. Das aber erkennen wir erst im Nachhinein, wenn wir sehen, zu welchem Erfolg sein Urteilen führt.

Das ist Weisheit, die hinter der vermeintlich ausweglosen Situation noch einen Weg zur Rettung weiß. Eine Weisheit, die Gott selbst an den Tag legt, wenn wir das Geschehen auf Golgatha betrachten.

Auch der Tod am Kreuz erscheint unserer Vernunft so widersinnig, ja töricht und anstößig zugleich, doch erst vom Sieg über die Sünde und den Tod erkennen wir, wozu der Weg Jesu diente.

Gott handelt heute an uns, wie an Salomo, als der Gott, der uns alles schenkt und gibt, was wir zum Leben in dieser Welt brauchen, der uns begabt und begnadet, damit auch Außenstehende erkennen – das kommt von Gott.

Er gebe uns Erkenntnis und Weisheit, damit wir so handeln, wie es einem Leben in der Nachfolge Jesu entspricht.

Und dann, wenn uns dies nicht gelingt auch die Weisheit, zu dem zu fliehen, der unser Versagen und unsere Schuld trägt in Jesus Christus.

Der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre Eure Herzen und Sinne in Christus Jesus.

Amen