Nachtragshaushaltsgesetz 2010

Verfassungsgerichtliches Verfahren der Abgeordneten Karl-Josef Laumann und Dr. Gerhard Papke sowie weiterer 78 Abgeordneten des Landtags Nordrhein-Westfalen wegen Prüfung der Verfassungsmäßigkeit von Vorschriften des Gesetzes über die Feststellung eines Nachtrags zum Haushaltsplan des Landes Nordrhein-Westfalen für das Haushaltsjahr 2010 – Nachtragshaushaltsgesetz 2010

Sven Wolf (SPD): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist – das haben mir die erfahreneren Kollegen meiner Fraktion versichert – meines Erachtens schon ein sehr ungewöhnlicher Vorgang, dass es hier in der rein formalen Frage des Äußerungsrechts des Landtags gemäß § 48 Abs. 1 des Verfassungsgerichtsgesetzes überhaupt zu einer Debatte kommt. Es scheint, meine Damen und Herren, in der Nachbetrachtung der Sitzung des Rechtsausschusses zu einem Missverständnis gekommen zu sein: Herr Kollege Körfges hat in der Sitzung dargelegt, warum die SPD-Fraktion gemeinsam mit Bündnis 90/Die Grünen den Wunsch hat, sich im laufenden verfassungsgerichtlichen Verfahren zu äußern. Er wies auf die durchaus mögliche Tragweite der im Mittelpunkt stehenden verfassungsrechtlichen Frage hin. Alleine vom juristischen Standpunkt aus gesehen – Herr Dr. Droste, da würden Sie mir wahrscheinlich zustimmen – ist das eine sehr spannende Frage, die – das führt auch Ihr Klagevertreter aus – selbst im Senat des Bundesverfassungsgerichts höchst umstritten ist und unter Staatsrechtlern unterschiedlich gesehen wird. Das alles diente lediglich der Klarstellung, warum wir als Landtag insgesamt eine Stellungnahme im laufenden Verfahren abgeben sollen. Das war ausdrücklich auch kein Vorgriff auf die Stellungnahme des Landtags, die noch folgen wird.

Es war auf keinen Fall davon die Rede, das Gericht in seine Schranken zu weisen, meine sehr verehrten Damen und Herren. Anders lässt sich die Reaktion der Mitglieder des Rechtsausschusses ja auch nicht erklären. Sie haben es ausgeführt: Dem Wunsch meiner Fraktion traten die Kolleginnen und Kollegen der CDUFraktion, Herr Biesenbach, selbstverständlich und sofort bei. Herr Dr. Orth erklärte für die FPD vorab eine Stimmenthaltung, sodass es zu dieser einstimmigen Empfehlung des Rechtsausschusses gekommen ist. Ich möchte mit einem zweiten Missverständnis aufräumen, das sich in Ihrem Entschließungsantrag andeutet. Das ist das Missverständnis, meine Fraktion würde in irgendeiner Art und Weise das Verfassungsgericht dieses Landes missachten. Meine sehr verehrten Damen und Herren, dass wir als Sozialdemokraten das Verfassungsgericht achten und die dort gefällten Entscheidungen respektieren, steht außer Frage. Das galt in der Vergangenheit, und das gilt selbstverständlich auch in Zukunft. (Beifall von der SPD)

Sollte der Landtag nun der Empfehlung des Rechtsausschusses folgen – davon gehe ich aus –, obliegt es dem Präsidenten, den Landtag zu vertreten und durch einen Bevollmächtigten eine Stellungnahme abzugeben. Ich gebe Ihnen recht: Dies kann in Einzelfällen für den Präsidenten schwierig werden. Das kann zu einem Konflikt mit seiner Neutralitätspflicht führen. In dieser Weise, verehrte Kolleginnen und Kollegen der CDU, verstehe ich auch Ihren Hinweis mit gebotener Zurückhaltung. Ich denke aber, dass sich das von selbst versteht. Das ist eine Sachdiskussion die – wenn Sie einmal in die Geschichtsbücher schauen – bereits in den 50er-Jahren im Deutschen Bundestag diskutiert wurde und auch das Bundesverfassungsgericht beschäftigt hat. Die herrschende Meinung zu diesem Punkt ist klar: Der Präsident vertritt das Anliegen des Parlaments in der Gesamtheit. In den Fällen, in denen Teile des Parlaments – das gilt zum Beispiel in diesem Normenkontrollverfahren – mit unterschiedlichen Rechtsansichten gegeneinander stehen, vertritt er jedoch regelmäßig die Mehrheitsmeinung, und zwar die Meinung der Mehrheit, die das angegriffene Gesetz in diesem Hause beschlossen hat. (Beifall von der SPD)

Die von Ihnen gebotene Zurückhaltung ist unmöglich. Werfen Sie einen Blick in die Kommentierung! Dort heißt es: Qua Amt muss er nun Partei für die Mehrheitsmeinung ergreifen. – Die Meinung der parlamentarischen Minderheit wird ja auch bereits ausreichend durch die 80 Klägerinnen und Kläger im Normenkontrollverfahren dargelegt und findet entsprechend Gehör. Liebe Kolleginnen und Kollegen von CDU und FDP, Ihren Wunsch, den Präsidenten dazu zu verpflichten, in seiner Stellungnahme den unterschiedlichen Ansichten der Fraktionen Rechnung zu tragen, kann eigentlich niemand gerecht werden. Überlegen Sie einmal, welche Folgen das hätte: Das bedeutete – das ist in den 50er-Jahren schon einmal diskutiert worden –, dass es eigentlich zwei Vertreter für das Parlament geben müsste, nämlich die Vertreter der Mehrheitsmeinung und den Vertreter der Minderheitsmeinung. Diese Idee hat sich aber zu Recht nicht durchgesetzt. Diese Regelung verkennt nämlich auch, dass es in der Geschäftsordnung eine klare Regel gibt: Der Präsident spricht mit einer Stimme für das Parlament. Es kann nur eine einheitliche Stellungnahme des Verfassungsorgans Landtag geben. Daher werden wir Ihren Entschließungsantrag ablehnen. (Beifall von der SPD und von den GRÜNEN)
Vorl 15/252 und 15/296 Plenarprotokoll 15/23 02.02.2011