JVA Bochum

Sven Wolf (SPD): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Ich habe schon in der gestrigen Sitzung gesagt: Grundsätzlich sollte jeder Vorfall in einer Justizvollzugsanstalt unseres Landes mit der gebotenen Ruhe und Sachlichkeit diskutiert werden. Die Abläufe sollten auch immer wieder kritisch hinterfragt werden; das ist keine Frage.
Zu dieser sehr sachlichen Diskussion sind wir zu Beginn der 15. Wahlperiode auch zurückgekehrt. Dazu haben wir Abgeordneten im Rechtsausschuss alle gemeinsam und die Beschäftigten im Vollzug ihren Beitrag geleistet.

Ein äußeres Zeichen für mehr Ruhe und Sachlichkeit im Vollzug ist, dass am gestrigen Tag eine der bisher wenigen Sondersitzungen des Rechtsausschusses stattfand, um sich mit Fragen des Vollzugs zu beschäftigen. Weitere Vorfälle wurden entweder in Form beantragter Berichte erläutert oder im zuständigen Gremium, nämlich der Vollzugskommission diskutiert, die vom FDP-Kollegen Abruszat geleitet wird.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, ein inneres Anzeichen für mehr Ruhe im Vollzug ist, dass in den letzten Gesprächen, die ich in Justizvollzugsanstalten vor Ort oder mit Personalvertretungen geführt habe, nicht die Sorge wegen unsicherer Arbeitsbedingungen oben auf der Tagesordnung stand.
Ich gestehe ein, dass die FDP mit diesem Antrag eine sachorientierte Diskussion führen will. Sie hat den Antrag nicht zur direkten Abstimmung gestellt. Vielmehr soll er an den Rechtsausschuss überwiesen und dort umfangreich diskutiert werden. Das erkennen wir auch grundsätzlich an.

Die FDP konzentriert sich in ihrem Antrag auf die Abläufe innerhalb der Justizvollzugsanstalt Bochum und auf die baulichen Mängel. Darüber hinaus ist der FDP-Antrag zunächst mal eine -ich will mal sagen – wilde Sammlung aller Vorfälle um Bochum. Diese Ausgangslage wird dann um sehr allgemeine Forderungen zum Vollzug ergänzt. Leider ist diese Ausgangslage nicht richtig dargestellt.

Es handelte sich zunächst nur um einen Ausbruch – darüber haben wir im Rechtsausschuss lange diskutiert – , mit einem waghalsigen Sprung von einer Mauer. Das hat sich vorher niemand vorstellen können. Dann ging es um eine Entweichung während eines Ausgangs. Der letzte Ausbruch fand nun Ende Januar statt.
Bei der Erstellung des Antrags wusste natürlich noch keiner, dass der Flüchtige kurze Zeit später erneut bei einem Diebstahl in einem Discounter gefasst werden konnte. Insoweit müsste die in Ihrem Antrag geschilderte Ausgangslage aber sowieso ein wenig angepasst werden.

Das soll jetzt nicht als Versuch gewertet werden, diese Vorfälle in irgendeiner Weise zu verharmlosen. In jedem Einzelfall ist aber sehr ausführlich berichtet worden. Der Minister hat anschließend die ergriffenen Maßnahmen deutlich und umfassend dargestellt. Diese Maßnahmen haben sich jedes Mal unterschieden; denn die Fälle waren jedes Mal sehr unterschiedlich.

Im vergangenen Jahr war es das Versehen eines Handwerkers, der eine Tür zum Dach offen gelassen hat. Anschließend erfolgte ein Sprung von der Mauer. Ich sagte gerade schon: Das war ein Sprung aus einer Höhe, wie man ihn sich vorher nicht vorstellen konnte.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, die baulichen Änderungen sind im Anschluss dargestellt worden. Noch Mitte Januar hat der Minister dargelegt, dass künftig weitere Baumaßnahmen anstehen und Investitionen eine ständige Aufgabe im Vollzug bleiben. Den Investitionsstau bezifferte der Minister mit rund 2 Milliarden € in den nächsten Jahren.

Es wurde im Ausschuss auch mehrfach deutlich erklärt, dass eine Konzeption erarbeitet wird, welche Anstalten renoviert oder neu gebaut werden. Hier ist eine abgestimmte Planung notwendig: weil die Errichtung der letzten neuen Anstalten genau gezeigt hat, dass der Bau einer Anstalt allein nicht genügt und auch das dafür erforderliche Personal zur Verfügung gestellt werden muss. Dass diese Planung aus einem Guss ist, das hat der Minister deutlich gesagt.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, über das Thema „Innere Sicherheit“ sprachen wir ebenfalls mehrfach. Es gibt da auch schöne Beispiele, die zeigen, dass die verantwortungsvolle und gute Arbeit der Beschäftigten Schlimmeres verhindert hat – das fehlt leider in Ihrer Auflistung – und dass die innere Sicherheit in den Anstalten funktioniert und gegriffen hat.

Aber auf keinen Fall darf in der Öffentlichkeit das Bild entstehen, es gebe besonders unsichere Anstalten in unserem Land. Welchen Eindruck solche fahrlässigen Äußerungen bei der Bevölkerung zum Beispiel in Bochum hinterlassen, das können Sie, Herr Kollege Dr. Orth, vielleicht mal bei den Wahlkreisabgeordneten vor Ort nachfragen.
(Beifall von der SPD)

Ganz zu schweigen von dem Eindruck, der gegebenenfalls bei den Insassen entsteht!
Lassen Sie mich ein Zwischenfazit ziehen: Der Minister hat nach den verschiedenen Vorfällen umgehend informiert und auch umgehend gehandelt. Ein Unterlassen des Ministers gab es nicht.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, in der gestrigen Sitzung wurden uns die Tatsachen des aktuellen Vorfalls ohne Umschweife dargestellt. Ohne den Baumangel am Panzerglas wäre der Ausbruch nicht möglich gewesen. Dieser Mangel war seit 1984 unerkannt. Es gab auch keinen Zusammenhang zu den vorherigen Zwischenfällen; das war nämlich eine Dachluke, Herr Kollege Orth. Vielleicht sollten wir uns diesen entscheidenden Unterschied, Herr Orth, vor Ort mal angucken. Wenn ich die Dachluken kontrolliere, dann kontrolliere ich nicht auch das Panzerglas.
(Dr. Robert Orth [FDP]: Dann kontrollieren Sie doch wohl alle Fenster!)
Lassen Sie mich die Frage stellen: Warum ist, wenn es doch so offensichtlich war, das Panzerglas nicht in den letzten fünf Jahren kontrolliert worden?
(Beifall von der SPD und von den GRÜNEN)

Der Vorwurf eines Tötungsdelikts gegen Gefangene – das ist richtig dargestellt worden – war in der JVA nicht bekannt. Das ist eine wesentliche Information, die sicherlich beim neuen Anstaltsleiter Ritter von Meißner auch zu einer anderen Wortwahl und Einschätzung des Gefangenen geführt hat. Das Wort, das Sie hier immer anführen, stammt von ihm und nicht vom Minister.

Ritter von Meißner, der im Januar 2011 die neue Leitung in Bochum übernahm, verfügt mit seiner über 3D-jährigen Dienstzeit im Vollzug sicherlich über besonders viel Erfahrung. Insbesondere als ehemaliger Leiter der Aufnahmeanstalt in Hagen hat er Erfahrung in der Einschätzung von Gefangenen und deren Einteilung.

Nach dem Vorfall stellte der Minister öffentlich die Fragen, die wir auch gestellt hätten: Wie konnte das passieren? Warum wusste keiner von der drohenden Haftstrafe in Polen? Diese Fragen sind nach dem gestrigen Bericht vor dem Rechtsausschuss durch den Generalstaatsanwalt mit dem Hinweis auf ein Versehen beantwortet worden. Da teile ich ausdrücklich die Kritik des Ministers; da teile ich die Kritik der Oppositionsfraktionen. Da bekennen auch wir: Fehler können geschehen, aber solche Fehler dürfen nicht passieren.
(Beifall von den GRÜNEN)

Auch die SPD-Fraktion will wissen: Kann das in anderen Fällen auch geschehen? -Die richtige Antwort war: Der Minister hat unverzüglich alle Generalstaatsanwaltschaften, also nicht nur die in Hamm, sondern auch die in Köln und Düsseldorf, aufgefordert, diese und ähnliche Fälle zu prüfen.
Bezüglich der JVA Bochum wurde eine umfassende Grundprüfung durch die Fachleute des Ministeriums angeordnet. Das greift im Wesentlichen die erste Forderung in Ihrem Antrag auf, liebe Kollegen der FDP. Der Minister hat deutlich gemacht, ihm gehe es um Gründlichkeit vor Schnelligkeit. Jetzt irgendwelche Zeitfristen zu setzen und zu fordern, dass man umgehend einen Bericht erwarte – das hat der Minister gestern sehr deutlich dargestellt -, ist nicht hilfreich. Hier gilt: Gründlichkeit vor Schnelligkeit.
Ich habe auch Zweifel, dass die in der gestrigen Sitzung gewünschten Minutenprotokolle über den Ausbruch vorgelegt werden können. Das, mit Verlaub, Herr Kollege, ist lebensfremd; denn wenn man genau wüsste, in welcher Minute sich der Gefangene wo befunden hat, wäre der Ausbruch nicht geschehen.
Lassen Sie mich zu einem anderen Punkt kommen, zu Ihrer letzten Forderung, die die unerlaubte Handynutzung betrifft. Das ist grundsätzlich ein Problem, aber auch das hat konkret nicht allein mit Bochum zu tun.

Es gibt eine ganze Reihe von Maßnahmen in den Neubauten – das ist Ihnen auch bekannt -, etwa die Detektoren, die sofort anschlagen; wir haben das in Wuppertal gesehen. Es gibt die Drogenspürhunde, die zwar keine Handys, aber Verstecke orten können, wo Handys gegebenenfalls versteckt werden. Auch im Juli gab es hierzu vor dem Rechtsausschuss einen umfassenden Bericht. Da ging es um die technische Frage der Umsetzung von Mobilfunkblockern. Zeitnah -so ist berichtet worden -soll nach dem Modellversuch in der JVA Köln nochmals berichtet werden.

Ein ähnliches Projekt ist auch in bayerischen Vollzugsanstalten geplant, wie mir mein bayerischer SPD-Kollege Franz Schindler berichten konnte. Im November 2011 solle in der JVA in Kaisheim ein Modellversuch mit sogenannten IMSI-Catchern beginnen. Diese Catcher simulieren Basisstationen eines Netzbetreibers. Unerwünschte Verbindungen können somit unterbunden werden, aber wichtige Signale, wie zum Beispiel Personennotsignalanlagen, werden nicht beeinträchtigt.
Wir werden in der weiteren Diskussion im Rechtsausschuss anregen, auch diese Modelle noch mal zusammenzuführen und darüber umfassend zu berichten. Ich denke, wir haben Zeit für eine sachliche Debatte.

Wir werden der Überweisung des FDP-Antrags in den Rechtsausschuss natürlich zustimmen. Dort sollten wir in aller Ruhe noch mal sachlich über diesen Punkt diskutieren. – Ich danke Ihnen.
(Beifall von der SPD und von den GRÜNEN)