Rede zur Großen Anfrage der SPD-Landtagsfraktion zur Lage der Polizei und der inneren Sicherheit
Wir wollen Licht in das Dunkelfeld der Kriminalität in NRW bringen! Aus den Ergebnissen unserer Großen Anfrage zur Lage bei Polizei und innerer Sicherheit haben wir ein Fazit gezogen. Und unsere drei grundlegende Forderungen sind: Mehr Personal! Mehr Daten! Ein Institut für Sicherheitsforschung! Viele Polizistinnen und Polizisten schieben Überstunden vor sich her. Die Aufklärungsquote ist niedriger als in anderen Bundesländern. Wir brauchen mehr Nachwuchskräfte, mehr Neueinstellungen!
Meine Rede im heutigen Plenum:
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich will zunächst eine sehr grundsätzliche Frage stellen: Warum beschäftigen wir alle, die sich im Innenausschuss einbringen, uns eigentlich so intensiv mit der Thematik der Sicherheit für die Menschen in unserem Land?
Ich will darauf eine ganz klare und einfache Antwort geben und hoffe, dass auch viele Kolleginnen und Kollegen sie teilen: Das wichtigste Grundversprechen, das ein Staat seinen Bürgerinnen und Bürgern geben kann, ist, dass alle in unserem Land sicher leben können.
Das ist die Grundidee, warum sich staatliche Organisationen gegründet haben, warum sich Staaten zusammengefunden haben, nämlich um ihre Bürgerinnen und Bürger besser zu schützen. Deswegen ist es auch wichtig, Herr Minister Reul, dass wir immer wieder hinterfragen: Wo sind wir schon gut, und wo können wir noch besser werden?
Ich möchte gerne mit einem Dank an Sie, Herr Minister Reul, beginnen, insbesondere an Ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die sehr akribisch die vielen Fragen, die wir gestellt haben, beantwortet, ganz viele Daten ausgewertet und das alles in einer sehr gut lesbaren Form zusammengestellt haben. Ich darf Sie bitten, Herr Minister Reul, meinen persönlichen Dank, aber auch den Dank der SPD-Fraktion an das Haus weiterzugeben.
Zu den Ergebnissen – ich werde gleich noch auf einige Details eingehen – möchte ich gerne drei Punkte vorwegstellen: An der einen oder anderen Stelle muss Nordrhein-Westfalen in Bezug auf die innere Sicherheit und die Sicherheit für die Menschen noch ein Stückchen besser werden.
Daran sollten wir alle gemeinsam arbeiten. Ich glaube, Anspruch und Wirklichkeit fallen noch ein wenig auseinander. Deswegen sollten wir diese Auswertung und die Antwort der Landesregierung auch geboten sachlich diskutieren.
Drei zentrale Botschaften will ich Ihnen aber jetzt schon einmal mitgeben:
Erstens. Viel Kriminalität liegt noch im Dunkeln. Wir müssen alle gemeinsam mehr Licht in das Dunkel bringen, um auch wirklich ein echtes Bild über die Sicherheitslage in unserem Land zu bekommen. Deswegen haben wir Ihnen vor einigen Monaten bereits den Vorschlag unterbreitet, regelmäßig einen periodischen Sicherheitsbericht vorzulegen und zu erarbeiten.
Zweitens. Erstmals seit 2011 sinkt die Gesamtzahl der Polizistinnen und Polizisten in diesem Jahr wieder unter 40.000. Daran müssen wir gemeinsam arbeiten. Deswegen regen wir an, die Neueinstellungen aufzustocken und pro Jahr 3.000 Anwärterinnen und Anwärter einzustellen.
Drittens. Wir müssen uns auch die Aufklärungsquote anschauen. Nordrhein-Westfalen liegt in vielen Deliktbereichen weit hinter anderen Bundesländern. Ich will die Frage diskutieren, warum das so ist. Liegt das an den Delikten? Liegt das an Organisationen? Liegt das daran, dass die Kriminellen in Nordrhein-Westfalen cleverer sind als in anderen Bundesländern?
Wir müssen das aufbereiten. Diese Aufbereitung gelingt am besten, wenn wir Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler hinzuziehen. Deswegen fordern wir von der Landesregierung, ein Institut für Sicherheitsforschung in Nordrhein-Westfalen einzurichten. In diesem stolzen Wissenschaftsland sollte das aus meiner Sicht, aus Sicht der SPD-Fraktion möglich sein.
Wir haben uns sehr akribisch die Antwort und die Daten, die Sie zusammengestellt haben, angeschaut. Es gibt grundsätzlich einen großen Rückgang, was die Kriminalität angeht.
Das ist erst mal positiv.
Negativ ist aber, Herr Kollege Lürbke, dass in einigen Deliktsbereichen die Zahlen eben nicht zurückgehen, sondern ansteigen: Die Zahl der Körperverletzungen nimmt zu, die Fälle der Sexualdelikte nehmen zu.
Das hat mit Sicherheit auch etwas mit der guten Arbeit der Polizei zu tun – keine Frage –, denn dadurch ist viel Licht ins Dunkel gekommen.
Auch die politisch motivierten Straftaten nehmen zu. Das korrespondiert mit der steigenden Hasskriminalität, die viele von uns auch alltäglich in der politischen Diskussion erleben.
Außerdem steigt die Computerkriminalität. Ich gehe davon aus, dass gerade Corona und all das, was wir hier über Lockdown-Maßnahmen diskutieren, dazu führen, dass immer mehr Kriminelle ihr Geschäftsfeld verlagern und selber ins Homeoffice gehen, um von dort kriminelle Dinge zu begehen.
Mich treibt tatsächlich die Zahl der offenen Haftbefehle um. Wir haben das mehrfach diskutiert, und zwar sowohl im Rechtsausschuss als auch im Innenausschuss. Ich will noch einmal an Sie, Herr Minister Reul, appellieren:
Ich weiß, dass es vielleicht auch in der Zusammenarbeit mit Minister Biesenbach schwierig ist, denn Sie haben innerhalb der Landesregierung unterschiedliche Rollen, die auch von der Verfassung vorgesehen sind, aber arbeiten Sie gemeinsam. Machen Sie eine Vollstreckungsoffensive, um auch diese Zahl deutlich zu senken.
Ich komme zu einem weiteren Bereich, bei dem die steigenden Zahlen der Delikte sehr auffallen: Wir haben inzwischen wieder über 54.900 registrierte Delikte des Erschleichens von Leistungen, also kurz gesagt des Schwarzfahrens. Es gibt viele Diskussionen, das endlich zu entkriminalisieren, was ich auch gerne unterstütze und für richtig halte, denn das bindet unglaublich viele Ressourcen innerhalb der Justiz und innerhalb der Polizei, die wir sicherlich für andere Deliktsbereiche viel sinnvoller und besser einsetzen können.
Zu der sinkenden Zahl der Planstellen habe ich schon etwas gesagt. Die Prognose für das Jahr 2021 zeigt zum ersten Mal wieder unter 40.000 Polizistinnen und Polizisten, die auf den Straßen in Nordrhein-Westfalen für Sicherheit sorgen können.
Jetzt können Sie sagen: Wir haben uns doch am Anfang der Wahlperiode eine Zahl für Neueinstellungen ausgedacht. – Das reicht aber nicht. Wichtig ist nachzusteuern und immer wieder zu prüfen, ob das, was wir uns an Neueinstellungen pro Jahr überlegt haben, ausreicht, um unser gemeinsames Ziel, mehr Sicherheit in dieses Land zu bringen, zu erreichen.
Eine Zahl muss uns doch alle umtreiben, insbesondere die Kolleginnen und Kollegen, die Polizeibeamtinnen und -beamte waren: Rund 140 Überstunden leistet jede Polizistin und jeder Polizist in unserem Land.
Das verdient ganz hohen Respekt und Dank, aber daran müssen wir doch weiterarbeiten.
– Herr Kollege Lürbke, immer darauf hinzuweisen, was denn in vorherigen Regierungen war, reicht nicht. Sie tragen mit dieser Koalition und mit diesem Innenminister jetzt die Verantwortung für die Sicherheit in unserem Land.
Das Gleiche werden Sie wahrscheinlich auch sagen, wenn ich auf die Aufklärungsquote blicke: Wir liegen leider im Vergleich zu den anderen Bundesländern weit hinten. Das kann uns doch nicht in Ruhe lassen; das muss uns doch umtreiben. Wir müssen uns doch gemeinsam ernsthaft die Frage stellen, woran das liegt.
Ich habe ein paar Fragen gerade schon angedeutet: Liegt es an den Delikten? – Ich vermute mal, dass die Kriminellen in Nordrhein-Westfalen nicht cleverer sind als in Baden-Württemberg und deswegen nicht erwischt werden.
Ich glaube erst recht nicht, dass unsere Polizistinnen und Polizisten schlechter sind als die in anderen Ländern. Ich will ganz deutlich sagen: Sie machen eine tolle Arbeit.
Die Zahl muss Sie doch auch umtreiben, Herr Minister Reul. Lassen Sie uns gemeinsam darüber diskutieren, wie wir die Aufklärungsquote in Nordrhein-Westfalen in möglichst vielen Deliktsbereichen verbessern können.
Ich habe gerade schon über die Dunkelfelder gesprochen: Viele Bereiche erkennen wir gar nicht. Wir wissen gar nicht genau, wie hoch eigentlich die Kriminalität in bestimmten Bereichen ist.
Bei den Sexualdelikten haben die laufenden Ermittlungen wohl dazu beigetragen, viel Licht ins Dunkel zu bringen. Wir müssen das aber auch für viele andere Bereiche tun.
Im Innenausschuss haben wir zuletzt über die zunehmende Methode der Kriminellen diskutiert, Seniorinnen und Senioren am Telefon mit Trickbetrügereien und auch mit neuen Corona-Maschen hinters Licht zu führen.
Die Aufklärungsquoten sind sehr schlecht, weil es teilweise wirklich schwierig ist, diese Kriminellen zu finden und herauszufinden, wo sie denn das Geld hinschaffen. Da müssen wir besser werden; das muss der Anspruch an Nordrhein-Westfalen sein. Wir müssen in diesem Punkt auch auf einen der vorderen Plätze im Vergleich der Bundesländer kommen.
Uns war es wichtig, mit dieser Großen Anfrage einen Bogen zwischen dem, was wir in jedem Jahr in den polizeilichen Kriminalstatistiken lesen, und dem, was die Justiz macht, zu spannen. Wir wollen einfach wissen, was von der Arbeit der Polizei bei der Justiz ankommt und wie viel dann dort auch in Urteilen abgebildet wird.
Das ist meiner Meinung nach ganz wichtig, um ein ernsthaftes, ein belastbares Bild der Sicherheitslage in unserem Land zu bekommen. Dazu kann aus unserer Sicht insbesondere ein periodischer Sicherheitsbericht ein guter Beitrag sein.
Wir haben auch die Zahlen zur Organisierten Kriminalität abgefragt; die sind in den letzten zehn Jahren in etwa gleichgeblieben. Wir haben hier zwei große Herausforderungen:
Es gibt viele Delikte, die immer noch im Verborgenen erfolgen. Wir müssen Licht hineinbringen, wir müssen besser werden. Wir müssen auch diejenigen, die Opfer von Organisierter Kriminalität werden, stärker sensibilisieren, sich der Polizei anzuvertrauen, damit die Polizei auch die Möglichkeit hat, diese Delikte aufzuklären.
Den zweiten Punkt haben wir immer wieder diskutiert und eingefordert: Wohin fließen die Gelder aus der Organisierten Kriminalität? Es geht nicht nur um die Frage, wie Kriminelle in Gruppen ihr Geld machen, sondern auch darum, wohin das Geld fließt und wie viel Geld gewaschen wird.
Sie räumen ein, dass die Zahlen, die die Wissenschaftler in dem Bereich zu ermitteln versuchen, weit auseinandergehen. Es gibt Wissenschaftler, die bei der Geldwäsche von 100 Milliarden Euro sprechen, andere von 10 bis 20 Milliarden Euro. In jedem Fall handelt es sich um unglaubliche Summen.
Wir dürfen nicht verkennen, was dann mit diesen Geldern in der Hand von Kriminellen in unserem Land angestellt werden kann, wenn diese gewaschenen Gelder wieder in den regulären Wirtschaftskreislauf zurückfließen. Deswegen ist es wichtig, dass wir den Kriminellen den Geldhahn zudrehen.
Wir müssen dem Geld folgen. Was Sie jetzt mit der Suche nach einer Software versuchen, nämlich „follow the money“, ist genau der richtige Ansatz. Wenn wir wissen, wohin die Gelder fließen, haben wir auch Anhaltspunkte, um die Kriminellen selbst zu erwischen.
Ich habe Ihnen gerade drei Schlussfolgerungen für die SPD-Fraktion vorgetragen. Ich bitte Sie herzlich um Unterstützung und um eine sachliche Debatte. Lassen Sie uns mehr Licht ins Dunkel bringen. Dafür brauchen wir einen periodischen Sicherheitsbericht.
Lassen Sie uns nicht damit zufrieden sein, dass die Zahl der Polizistinnen und Polizisten in unserem Land sinkt. Stocken wir gemeinsam die Neueinstellungen auf 3.000 pro Jahr auf.
Lassen Sie uns die offenen Fragen rund um die Kriminalität und die innere Sicherheit in einem Institut für Sicherheitsforschung diskutieren.
Wenn wir das alles tun, können wir garantieren, dass sich die Menschen in unserem Land wieder sicherer fühlen. – Vielen herzlichen Dank.